D I E . S I E B E N . P H A S E N . D E S . F E S T S


#1
Sehr verehrter Gast, ein Fest im Theater, was soll das werden, wenn Sie schon am Eingang begrüßt werden mit: „Haben Sie Mut?“ – „Ja, zu allererst: Ich habe Mut, Mut zum Fest, als Absage an die Regeln des Theaters!“ Denn Fest ist Verführung, die Maske ist ein Mittel der Verführung, Ihre Persönlichkeit für die kurze Weile des Festes abzulegen, eine Aufforderung den Ernst des Alltags im Rausch der Gemeinschaft zu verlieren. Ein Gegengift gegen die Lusthemmer der Arbeitszwänge und die festen Ordnungen.


Lauschen Sie doch der Festrede des Schafs:

Liebe Festgäste,
Als Schaf, Opferlamm oder Sündenbock habe ich die Ehre Sie heute abend herzlich zu begrüßen. Ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind, hierher ins Theater, um das Theater dem Fest zurückzugeben. Das Theater hat vergessen, dass es aus dem Fest entstanden ist, so wie wir vergessen haben, dass wir ohne den Ausnahmezustand, der das Fest ist, nicht leben können. Fest ist Gemeinschaft und Fest ist Widerstand gegen das Funktionierenmüssen, gegen die Kontrolle, die Angst, die Verfleißigung und den Sicherheitswahn.
Feste lassen uns den Kopf verlieren – wie sie an mir sehen können. Mäh. Das Fest ist ganz und gar unser eigenes gemeinsames Werk, ein Triumph unserer Freiheit gegen die Gewalt der Verhältnisse. Das Fest zur Freiheit macht Arbeit. Es erfordert unsere Hingabe.
Feste kann man nur ganz oder gar nicht feiern.
Verschwenden wir uns: unsere Zeit, unsere Mittel, uns selbst.
Sonst triumphiert nicht die Freiheit, sondern die Gewalt der Verhältnisse.
Das Gegengift dazu heißt: das Fest.
Willkommen liebe Leiber! Willkommen zum Fest! Mäh


#2
Initiation, das ist Auflösung und Hingabe, Verschwendung und Ritual, Schmuck und hässliche Fratze. Mit den Masken in den gemeinsamen Tierkörpern erobern wir die Selbstüberwindung, begehen wir gemeinsam den Autodafe, heiter, ausgelassen und ohne Widerspruch – Fest ist Ausnahmezustand, es sprengt den Rahmen. Löwen, Bären, Affen, Mäuse, Wölfe und Pferde rotten sich zusammen und werden durch ihr Alphatier initiiert. Nur das Schaf bleibt singulär, ein geheimnisvoll scheues zartes Wesen, das dem Fest das Fleisch gibt, die Musik.


#3
Ist der Feierabend gefährlich? Weil er Lust macht auf den Verlust des Gesichts. Kontrollverlust und Vereinigung, das Herausbrechen des Sinnlichen und die Kommunikation des Körpers wollen gefeiert werden. Das weiß der Gemeinschaftskörper und hat dafür Symbole gefunden, die sich in Gewalt und Lust vereinigen. Da wird eine Pinata geschlagen, so lange bis sie aufplatzt, das kostet Überwindung und Kraft und ist gewalttätig, doch die Belohnung ist die Lust – nur wenn die Pinata platzt und der Regen aus buntem Papier, Luftballons und kunstvollem Origami die Festbühne bedeckt, kann sich der Körper verausgaben. Ein Fest ohne Tanz ist ein misslungenes Fest. Also: Schweiß ist gefordert, der Kopf wird geopfert zugunsten des Körperlichen.
Gemeinschaft findet sich im Körperlichen, vergessen werden die Gesetze des Alltags. Erotik, Streit, Begehren und Gewalt treten auf die Bühne des Festes.


#4
Pause, Erschöpfung nach der Verausgabung, Beruhigung. Der Körper sinkt darnieder. Das Abendmahl schafft Ruhe: Im Wolf kehrt der Kopf zurück zum Fest:
„Ist euch schon mal aufgefallen wie ähnlich alle Worte sind? Wir sitzen hier wie zu Gericht und vor uns das Publikum wo normalerweise das Publikum über uns zu Gericht sitzt auf der Tribüne hier, wie ein Tribual Und wir essen - ein Gericht. Wisst Ihr, das Gericht heißt so, Als würde man es nicht einfach so essen können. Als müssten wir darüber urteilen. (Schmeckt's)
Das ist wie mit dem Tanzen.
Man kann den Tanz anschauen wie ein Gericht,
aber man kann den Tanz auch tanzen,
so wie man das Essen auch essen sollte
Ich finde, es ist nichts gemeiner, als den Tanz nur anzusehen, Das wäre, als wäre das Essen nur dazu da, es anzugaffen. Sagt mal, wollt Ihr uns nur anstarren oder wollt Ihr auch was essen?“
In der Ruhe entwirrt sich der Gemeinschaftskörper, er vereinzelt im Genuss des Mahls und des Gesprächs, er beginnt zu erzählen von den eigenen Erlebnissen und Empfindungen.


#5
In diese Ruhe tritt die Zeremonie. Die Religion hat dafür Stätten errichtet, Kirchen, die aussehen wie Theater. Aufgefangen in den Kathedralen zelebrieren beide (Kirche und Theater) die Pause, den Tod, die Heilung, das Opfer. Das einsame Schaf wird zum symbolischen Opfer, Zeichen der Zurückführung in die eigene Persönlichkeit. Jeder opfert seine Maske auf dem Opfertisch, opfert seine Feierlust und sein Geheimnis dem Fest, damit es zyklisch wiederkehren kann und für andere Gäste wieder belebt werden kann.


#6
Im Angesicht des Opfers ist das Fest gereinigt, um der hohen Kunst zu folgen, sich von ihr einweben zu lassen und das eigene Ich nun tatsächlich und mit bewusstem Schritt hinter sich zu lassen. Demaskiert schreitet der Gast zum Selbstversuch, gibt sich den ursprünglichen Kräften der Natur hin, wagt den Schritt in Richtung zu den „Göttern – der mythischen Verbindung von Geist und Natur“ und sucht die körpereigenen Rauschmittel in der Trance, sucht Glück und Auflösung des eigenen Ichs in der Kreisbewegung des Sufi, als drehe sich die ganze Welt um einen selbst. Später wenn der Körper zur Ruhe kommt, wird der Gesang die Szene neu beleben, als würde die Sonne aufgehen und einen neuen Tag hereinlassen. Der Weg ist bereitet.


#7
Das Feuer in der kalt-dunklen Nacht verströmt eine letzte Wärme, wie eine Erinnerung an die sinnlichen Freuden. Ein Wunsch wird ins Feuer geworfen und fliegt unter Begleitung der Mundtrompete in die Milchstrasse. Erfüllung findet im Herzen statt – wer sein Herz öffnet hat die Chance sie zu erreichen.